ZWEI DUNKLE FLECKEN
Eine Kurzgeschichte von Haytham El-Wardany
Das Rudel ließ das Dorf hinter sich und brach gen Osten auf. Der Himmel war erfüllt von einer schweren, bleiernen Wolke, die das Licht der Sonne verbarg. Oder des Mondes. Alles, was hindurchschimmerte, war ein neutrales Blau, das keinerlei Aufschluss darüber gab, ob gerade Tag war oder Nacht. Schweigend liefen die Hunde über das karge Land, der Dichter vorneweg. Sie passierten ausgetrocknetes Sumpfland und vor sich hin rostende Schrotthaufen alter Militärtransporte. Über das gesamte kahle Grenzland hinweg war kein Geräusch zu hören, nur das angestrengte Hecheln der Hunde. Tag und Nacht liefen die Hunde in absoluter Stille: Es gab nichts mehr zu sagen. Sogar für das Bild, das der Dichter gesehen hatte, gab es keine Worte mehr. Weiter und weiter folgten sie dem gewundenen Pfad, bis der Dichter plötzlich erstarrte. Auf dem felsigen Gelände zeichnete sich ein dunkler Fleck ab. Das Rudel baute sich hinter ihm auf und begann, hartnäckig mit den Pfoten über den Boden zu scharren.
Genau an dieser Stelle hatten die Hunde tausend Jahre zuvor zum ersten Mal gesprochen. Gesprochen, wie der Stein spricht: aus Angst vor dem, was er sieht. Wild durcheinander sprachen sie darüber, dass die Menschen sich gegenseitig getötet hatten, wobei die heftigsten und lautesten Kämpfe an den Grenzen zwischen den Sprachen ausgetragen wurden. Dann wurden die Hunde eines Tages von etwas durchströmt, von einer Kraft, die ihr Gebell in Sprache verwandelte, und die Menschen waren bleich geworden und verstummt. Und als sie sich von dem Schock erholt hatten, hatten sie begonnen aufzuschreiben, was die Tiere sagten. Es war das erste Mal, dass Menschen den Mund hielten und zuhörten. Sie hörten die Geschichte der beiden Hunde aus zwei verschiedenen Rudeln, die sich verliebt hatten und von der Liebe vernichtet worden waren. Eine Liebe, die in beiden Rudeln verboten war, da diese damals Krieg gegeneinander führten. Das erste war ein Rudel Wachhunde, das zweite durchwanderte die Wüste. Und die Menschen schrieben die Geschichte von der verbotenen Liebe in all ihren Variationen auf: von den Liebenden, die dem Wahnsinn anheimfielen, den Liebenden, die zu Sternen am Firmament wurden.
Unter einem sternenlosen Himmel rissen die Hunde den Boden auf, sodass ihre Krallen an den Steinen zersplitterten, bis sie sich mit schmerzenden Gelenken bis zum schwarzen Fluss durchgegraben hatten. Aber sie fanden die Sprache nicht wieder, die sie verloren hatten. Denn als der lange Krieg zu Ende war, waren die Hunde in ein endloses Schweigen versunken. Sie hörten sogar auf zu bellen, und außer den Menschen sprach jetzt niemand mehr. Allmählich verloren sich die Hunde im Gemisch der menschlichen Sprache, die das Universum füllte und die keine Bedeutung mehr hatte.
Der, den sie den Dichter nannten, hatte erlebt, wie die Seinen ihre Sprache verloren und zu Schlafwandlern wurden, und er hatte nichts dagegen tun können. Eines Tages jedoch war er plötzlich aufgesprungen und nach draußen gelaufen. Er hatte einen Ruf gehört, einen seltsamen Ruf, von dem er dachte, er käme aus dem Grenzland, und er folgte ihm, denn da draußen, so dachte er, könnte die Sprache wiedergeboren werden, die diese Grenzen überschreiten würde. Denn ohne Sprache wären sie hoffnungslos verloren.
Auf einem der Haufen ausgegrabenen Gerölls stand der Dichter und starrte verwirrt auf den tief hängenden, leuchtenden Himmel. All die felsigen Schichten, durch die sie gegraben hatten. Warum hatten sie die Sprache nicht gefunden? Hatte der Dichter den falschen Fleck gewählt? Hatte sein Gehör ihn getäuscht? Er rollte sich auf dem Haufen zusammen und sank in einen tiefen Schlaf.
In seinem Traum saß der Dichter in einem Park. Ein junger Mann kam auf ihn zu und fragte ihn, ob er ein Foto von ihm und seinem Freund machen könne. Der Dichter willigte ein. Der junge Mann reichte dem Dichter eine kleine Kamera und stellte sich selbst mit seinem Freund vor die Glasscheibe eines Gebäudes. Das Display der Kamera in der Hand des Dichters war prismatisch: wie eine fremdartige Murmel. Glücklich strahlend standen die beiden jungen Männer nebeneinander, Schulter an Schulter. Sie schienen verliebt zu sein.
Der Dichter machte das Foto, aber bevor er die Kamera zurückgeben konnte, fragte der junge Mann, ob er so nett sein würde, das gleiche Foto mit ihnen auf der anderen Seite der Scheibe zu machen. Der Dichter sagte ja. Er wartete, während sie in das Gebäude gingen, aber sie wurden von der Menge vorbeiströmender Passanten verschluckt und er verlor sie aus den Augen. Seine Hand sank. Er wusste nicht, was er tun sollte. Dann beschloss er, den beiden jungen Männern zu folgen und ihnen ihre Kamera zurückzugeben, und so begann eine lange Suche in den Fluren des Gebäudes.
Als er irgendwo in einem der vielen Gänge suchte, stieß er auf zwei dunkle Flecken am Boden. Er erstarrte. Er wusste sofort, dass diese dunklen Stellen die beiden jungen Männer waren. Dass sie hier waren, ausgegossen auf dem Boden. Er stand über ihnen, auf die Flecken starrend, die Kamera in der Hand. Dann rannte er wie ein Verrückter aus dem Gebäude. Er war nicht mehr er selbst. Er fing an, die beiden jungen Männer überall in den verschiedensten Formen zu sehen. Er sah sie in den Flecken einer Wand, in weggeworfenen Bechern auf dem Boden, in den Scharnieren von Türen und Fenstern. Er sah, wie sie Schulter an Schulter dastanden und ihn ansahen, als ob sie darauf warteten, dass er etwas sagte.
Haytham el-Wardany ist Schriftsteller und Übersetzer. In seinem jüngsten Buch, “The Book of Sleep” (erschienen 2017 im Alkarma-Verlag, Kairo) beschäftigt er sich mit dem politischen und ästhetischen Potenzial einer Dialektik des Schlafs und der Wachsamkeit im postrevolutionären Moment. In Kürze erscheint seine Kurzgeschichtensammlung “Irremediable”.